Anreizsysteme: Neukunden-Akquisition versus Bestandskunden-Pflege?

Teil 3 des Fachbeitrags „Anreizsysteme: Neukunden-Akquisition versus Bestandskunden-Pflege?“

Wie das System, so´s Gescherr

In beiden Fällen war sowohl die Selektionswirkung als auch die Motivationswirkung der leistungs- und erfolgsorientierten Entgeltsysteme sichtbar geworden. Sie haben Einfluss auf die von den Mitarbeitern ausgeübten Tätigkeiten und Verhaltensweisen – und über kurz oder lang auch auf die Zusammensetzung der Mitarbeiterschaft.

Im Falle des schwäbischen Unternehmens hatte die auf Stammkundenpflege und feste Gehälter ausgerichtete Entgeltpolitik des Seniors über viele Jahre hinweg dazu geführt, dass entsprechende Mitarbeiterpersönlichkeiten in das Unternehmen gekommen und dort geblieben waren.

In der psychologischen Persönlichkeitsforschung versuchte man erstmals vor rund 50 Jahren, Persönlichkeitsunterschiede mit der jeweiligen Wirtschaftsform in Verbindung zu bringen. Bemerkenswerte Unterschiede konnten bei Gesellschaften mit Subsistenzwirtschaft zwischen solchen mit geringer Vorratshaltung („Jagen und Sammeln“) und solchen mit stärkerer Vorratshaltung („Ackerbau und Viehzucht“) aufgezeigt werden.

Während für letztere Sicherheit, Kontinuität, Regeltreue und soziales Verantwortungsbewusstsein zentrale Werte bilden, sind für die erstgenannten Initiative, Kreativität, Flexibilität und Unabhängigkeit bedeutsam.

Jäger und Sammler

  • Initiative
  • Kreativität
  • Flexibilität
  • Unabhängigkeit

Ackerbauer und Viehzüchter

  • Sicherheit
  • Kontinuität
  • Regeltreue
  • Soziale Verantwortung

Das auf Neukundengewinnung ausgerichtete flexible Entgeltsystem des bayrischen Betriebes (Fall B) scheint unter diesem Gesichtspunkt besonders attraktiv für Menschen des Typus „Jäger und Sammler“ zu sein. Die Außendienstler im Freistaat sackten sich die Festgehaltserhöhung ohne nennenswerte Änderung ihrer Verhaltensweisen ein. Erst die Prämierung auch der Bestandskundengeschäfte weckte den Jagdtrieb der Verkäufer auch für diese Kundengruppe.

Die schwäbischen Mitarbeiter (Fall A) hingegen nahmen die Neukundenprämie nur mehr oder minder zufällig und ohne Entfaltung entsprechender Aktivitäten mit. In diesem Unternehmen waren über lange Jahre hinweg Ackerbauer und Viehzüchter angezogen, eingestellt und gefördert worden. Sie beackerten dem Führungs- und Strategiewechsel zum Trotz lieber kontinuierlich das gleiche Stück Land und hatten große Freude daran, wenn dieses weitere Früchte trug.

Wie gestaltet man das richtige Anreizsystem?

In den wenigsten Unternehmen ist indes die Belegschaft gleichzeitig so homogen und so extrem polarisiert wie in den geschilderten Beispielfällen. Und das ist auch gut so. Wenn der Schwerpunkt des Vertriebszieles zwischen Bestandskundenpflege und Neukundengewinnung wechseln kann oder beides beinhaltet, ist die gerühmte Diversity (Vielfältigkeit, Verschiedenheit) auch als Anspruch für eine optimale Zusammensetzung der Vertriebsmannschaft zu sehen.

Bestandskundenpfleger gesucht?

Mit Hinweis auf die vielen Ausnahmen und der dringenden Bitte des Autors, jeden Einzelfall für sich zu betrachten, lassen sich ein paar Tendenzen herausstellen: Frauen beispielsweise scheinen seltener zu den Jägern zu zählen, sind daher tendenziell weniger gut auf die Gewinnung von Neukunden anzusetzen und fühlen sich seltener durch individuelle leistungs- und erfolgsorientierte Entgeltsysteme motiviert. Das gleiche gilt für ältere Mitarbeiter. Menschen, deren Persönlichkeitseigenschaften optimal auf das Hegen und Pflegen von Stammkunden ausgerichtet sind, sind häufig Frauen im besten Alter, arbeiten tendenziell lieber im Team als alleine, aber reisen auch häufig nicht allzu gern.

Wenn ein Anreizsystem gestaltet werden soll, das seine Motivierungsfunktion in die gewünschte Richtung und mit der anvisierten Stärke entfaltet, müssen die Motive der Adressaten in ausreichendem Maße Berücksichtigung finden. Dabei kann die Differenzierung zwischen Jägern und Sammlern einerseits und Ackerbauern und Viehzüchtern andererseits gerade im Hinblick auf die strategisch zutreffende Mischung aus Aktivitäten zur Neukundengewinnung und denen zur Stammkundenpflege erste Gedankenanstöße geben.

Anreizsysteme, die strategische Bestandskundenpflege im Fokus haben

… werden daher eher als Teamprämie gestaltet. Die Vereinbarung der Ziele und die Messung der erzielten Veränderung erfolgt über geeignete Messgrößen, die möglichst schon im Unternehmen vorhanden und etabliert sind. Das können die Relationen von Folgeaufträgen zu Neuaufträgen in Auftragseingang oder Umsatz ebenso sein wie die Anzahl der durchschnittlichen Folgeaufträge pro Kunde. Auf Bestandskundenpflege gerichtete Anreizsysteme sehen unter Beachtung der anzusprechenden Persönlichkeitseigenschaften idealerweise für das Team keine geldlichen, sondern vorwiegend immaterielle Ausschüttungsformen und Incentives vor. Dazu zählen gemeinsame Erlebnisse bei Zielerreichung, wie etwa zusammen Essen in besonderem Rahmen, gemeinschaftliche Ausflüge oder kleine Feiern. Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass der incentivierte Zielerreichungsgrad schon bei mittlerem Leistungs- bzw. Erfolgsniveau angesiedelt wird, damit viele davon partizipieren.

Neukundenjäger gesucht?

Die Ausrichtung des Vertriebes auf die Neukundengewinnung ist unter bestimmten strategischen Aspekten sinnvoll. Der Wechsel von Kunden einer bestimmten angestammten Branche zu Kunden aus weiteren Branchen, um Unabhängigkeit von einer bestimmten Branche zu erzielen kann ebenso ein Grund sein wie die Lösung von der Abhängigkeit zu einem oder mehreren Großkunden.

Auf erhöhte Neukundenakquisition abzielende Anreizsysteme

… sind tendenziell eher auf die individuelle Zielerreichung auszurichten und zudem mit geldlicher Vergütung auszustatten. Menschen mit den hier anzusprechenden Persönlichkeitseigenschaften reizt vor allem die Aussicht auf relative Besserstellung des erfolgreichen Jägers gegenüber den weniger erfolgreichen Genossen. Daher können hier ausschließlich Höchstleistungen – diese aber besonders deutlich – incentiviert werden. Auch für eine Transparenz ist insoweit zu sorgen, als dass beispielsweise die Monats-, Quartals- oder Jahresbesten in größerem Rahmen bekannt gegeben werden. Um dem Bedürfnis dieser Zielgruppe nach Entfaltung ihrer Kreativität und Freiheitsgraden bei der Umsetzung von Maßnahmen nachzukommen, sollten keinesfalls Zielvorgaben oder konventionelle Zielvereinbarungssysteme zum Einsatz kommen, sondern möglichst das Verfahren der Zieloptimierung.

Wie setzt man das Anreizsystem richtig ein?

Anreizsysteme sollen die Strategieumsetzung unterstützen, die Unternehmenssteuerung vereinfachen und die Führung erleichtern. Um dies leisten zu können, müssen die Führungskräfte des Unternehmens dieses Instrument beherrschen. Sie müssen über das nötige Know-how und Do-how verfügen, über alle Gefahren und Chancen dieses Tools Bescheid wissen und auf alle beim Einsatz möglichen Eventualitäten ausreichend vorbereitet sein. Unzweifelhaft müssen Sie unbedingt auch ihre Mitarbeiter, deren Motive und Lebenssituationen sehr genau kennen.

Im häufigsten Falle wird die strategische Ausrichtung des Unternehmens eine gesunde Mischung aus a) der Pflege, Hege und Ausschöpfung aller Möglichkeiten bei Bestandskunden und b) in verkraftbarem Maße hinzukommenden Neukunden bestehen.

Fazit:

Ein gut gemachtes Anreizsystem unterstützt bei richtigem Handling die beiden vertriebsstrategischen Stoßrichtungen genau im jeweils erforderlichen Maße.

Damit sich der vergleichsweise hohe Aufwand für die Akquisition von Neukunden rechnet, müssen diese über kurz oder lang zu Stammkunden werden. Ein gut gemachtes Anreizsystem stellt auch die angestrebte Verbindung zwischen den beiden Zielen her.

 

 

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Links:

Support:

Buchtipp: Gunther Wolf: Variable Vergütung – Genial einfach Unternehmen steuern, Führungskräfte entlasten und Mitarbeiter motivieren. 2. Auflage. Hamburg: Dashöfer Verlag 2009.

Wenn Sie sich mit einem Experten über diese Thematik austauschen möchten, nehmen Sie bitte einfach Kontakt zu uns auf.

12 Gedanken zu „Anreizsysteme: Neukunden-Akquisition versus Bestandskunden-Pflege?“

  1. Der Beitrag gefällt mir sehr gut!

    Ich bin der Überzeugung, dass wir als Entscheider im Vertrieb bewusst oder unbewusst immer Personal auswählen, das uns zumindest ein bisschen ähnlich ist. Die Zusammenarbeit und das „Verstehen ohne viel Erklären“ klappt dann eben einfach besser.

    Aber dadurch erschaffen wir uns eine vertriebliche Monokultur: entweder nur Jäger oder nur Bauern.

    Ich versuche seit Jahren, für Diversity im Sales zu sorgen. Da wir regionale Aufteilung haben, gehen die Vorteile allerdings wieder fast komplett verloren: Der Außendienstler in Oberbayern pflegt nur, der in Niederbayern jagt nur.

    Haben Sie hierfür eine Lösung?

    Gruß

    McSale

    PS: Die Gebiete zu rotieren ist nicht möglich.

    • Guten Tag Mr. McSale,

      möglicherweise ist unsere erste Idee zu naheliegend, als dass Sie sie nicht bereits in Betracht gezogen haben: Was denken Sie über eine Zusammenlegung der Gebiete mit je einem Jäger, der jagen soll und einem Heger und Pfleger, der für die Bindung der Stammkunden sorgt?

      Sollten Sie derzeit Provisionsregelungen haben, die dieser Doppelbelegung der (vergrößerten) Gebiete entgegensteht, müsste die variable Vergütung der beiden AD entsprechend den jeweiligen Aufgaben aktualisiert werden. Auch den Zeitpunkt der Übergabe sowie das Verfahren dabei müsste im Vorfeld überdacht werden.

      Nachteile könnten in Aufwendungen dafür liegen, dass die Wege und Fahrtzeiten länger werden. Es ist auch damit zu rechnen, dass Kundenbesuche zumindest im Übergabestadium durch beide AD erforderlich werden.

      Beste Grüße

      Das WOLF Team

  2. Ein wenig „zu schwarz-weiß gemalt“ ist meine einzige Kritik an diesem ansonsten hochinteressanten Text.

    • Guten Tag Herr Monhof,

      vielen Dank!

      Plakative Extreme helfen, Unterschiede zu verdeutlichen. Sehen Sie es uns nach…

      Beste Grüße

      Das WOLF Team

  3. Guten Tag,

    wie erziele ich Kundenbindung im Versandhandel, speziell Online-Shop für Haushaltskleingeräte? Wie mache ich aus den Neukunden meinem Online-Shop treue Stammkunden?

    Es wäre schön, wenn Ihre Berater auch hierauf eine Antwort finden könnten.

    Mit freundlichen Grüßen aus Berlin

    Sabine Bormann

    • Guten Abend Frau Bormann,

      gern – das machen wir sogar beruflich! Im Ernst, hier unser Angebot: Lassen Sie uns einfach einmal telefonieren, denn wir haben für die erste Kurzanalyse ein paar Fragen vorgesehen. Es geht um Ihre Kunden, um Ihre Kalkulation, um den ROI etc. In die Versuchung, diese Fragen in einem öffentlichen Forum zu beantworten, möchten wir Sie nicht bringen.

      Wenn am Ende für Sie ein Gedanke oder eine Idee entsteht, die Sie selbst umsetzen können und wollen, wird Ihr Dank unser Lohn sein.

      Bis gleich!

      Beste Grüße

      Das WOLF Team

  4. Guten Morgen,

    auf diesem Wege möchte ich mich bei Ihnen für das gestrige, ebenso nette wie aufschlußreiche Telefonat bedanken!

    Ihre Kreativität und Ihr Gespür für das wirklich Machbare hat mich sehr beeindruckt.

    Nochmal vielen Dank für Ihre Zeit!

    Mit freundlichen Grüßen aus Berlin

    Sabine Bormann

  5. Ein schöner Beitrag, habe alle drei Teile und auch die folgenden Kommentare „verschlungen“. Es zeigt sich also auch bei der Neukunden-oder-Stammkunden-Frage: Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken.

    In unserem Unternehmen gibt es noch einen dritten Trend: Mal Neukunden jagen, mal Stammkunden pflegen und das in schönem Wechsel. Die variable Vergütung zielt 2009 und in diesem Jahr auf Stammkunden, Erhaltung, Umsatzsteigerung. 2008 ging es bei der variablen Vergütung nur um Neukunden, die Stammkunden ließ man achtlos hinten rüber kippen. Das halte ich für wenig sinnvoll, auch wenn ich nie Probleme habe meine Zielvorgaben zu erreichen.

    Was sagen die Experten?

    • Guten Tag Billy,

      Übersteuerung, „Hin und her“ oder wie man es auch nennen mag, ist selten hilfreich. Dies gilt insbesondere für Ziele und für die hieran orientierte variable Vergütung. Doch es sind Situationen denkbar, in denen schnelle Wechsel erforderlich sind, um flexibel auf die Anforderungen der Märkte zu reagieren.

      Aus der Ferne und ohne Einzelheiten zu kennen, fällt eine Beurteilung der von Ihnen beschriebenen Vorgehensweise und der Regelung der variablen Vergütung schwer. Wenn Sie mögen und das Gefühl haben, Ihrem Arbeitgeber hiermit etwas Gutes zu tun, stellen Sie doch bitte einfach einen Kontakt zur Vertriebs- oder Unternehmensleitung her.

      Beste Grüße

      Das WOLF Team

  6. Der Vertrieb muss sich in den nächsten Jahren mehr auf Stammkunden konzentrieren. Daran geht mE kein Weg vorbei. Die Prämiensysteme müssen das unterstützen.

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